Ein Jahr Meldestelle #Antisemitismus: Demokratiezentrum dokumentiert über 200 antisemitische Vorfälle
02.12.2020

- Während der Corona-Pandemie gewinnen Verschwörungsmythen enorm an Zulauf – fast alle haben einen antisemitischen Hintergrund.
- Bei der Meldestelle #Antisemitismus im Demokratiezentrum Baden-Württemberg können antisemitische Vorfälle gemeldet werden – bei strafrechtlicher Relevanz werden sie zur Anzeige gebracht.
Sersheim, 02. Dezember 2020 – „Auf der Schultoilette fand ich ein Hakenkreuz mit der Beschriftung ‘Für unseren arischen Großvater‘ und ‘Raus ihr Juden‘“, liest Günter Bressau, Fachbereichsleiter des Demokratiezentrums Baden-Württemberg, eine der in diesem Jahr bei der Meldestelle #Antisemitismus eingegangen Meldungen vor. „Eine andere Meldung betrifft einen Twitter-Post: ‘Die jüdischen Zionisten sind Kriminelle! Ihnen gehört die Firma BRD! Sie haben die Geschichte gestaltet und später verfälscht und sie streben eine digitale Total-Versklavung an. (…)‘ Leider sind das keine Einzelfälle. Seit November 2019 hat die Meldestelle #Antisemitismus des Demokratiezentrums mehr als 200 Meldungen über antisemitische Vorfälle dokumentiert .“ Juristisch ausgebildete Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter prüfen eingehende Meldungen auf strafrechtliche Relevanz. Bei einem begründeten Verdacht auf strafrechtliche Relevanz wird die Meldung von der Meldestelle #Antisemitismus beim zuständigen Landeskriminalamt zur Anzeige gebracht. Damit wird erreicht, dass die meldende Person in den Prozessakten nicht namentlich auftaucht und damit auch im Falle eines Prozesses nicht als Zeuge geladen wird.
Dr. Blume: „Antisemitismus ist die gefährlichste Form von gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit“
Die Zahl antisemitischer Vorfälle steigt beständig und hat im Jahr 2019 den Höchststand seit Beginn der Erhebungen vor zwanzig Jahren erreicht.[1] Während der Corona-Pandemie kommen antisemitische Denkweisen besonders häufig und unverblümt zum Vorschein – fast jede der aktuell verbreiteten Verschwörungsmythen hat einen antisemitischen Hintergrund: So fühlen sich z.B. die auf mehrere zehntausend geschätzten[2] Anhänger*innen von „QAnon“ bedroht von einer weltweit agierenden Elite, einem „Deep State“, der satanische Kulte und Kindesmissbrauch betreiben soll. „Die QAnon-Ideologie ist ganz klar eine Neuauflage der Jahrhunderte alten antisemitische Ritualmordlegende, nach der Juden und Jüdinnen das Blut von Christ*innen trinken und die Weltherrschaft anstreben“, verdeutlicht Dr. Michael Blume, Beauftragter der Landesregierung gegen Antisemitismus in Baden-Württemberg. Auffällig sei, dass die gleichen antisemitischen Erzählungen immer dann gehäuft auftreten, wenn es neue Medien gäbe. „Ein Kennzeichen von Antisemitismus ist, dass er häufig mit Verschwörungsglauben einhergeht und deshalb völlig unabhängig davon ist, ob eine Person überhaupt Kontakt zu jüdischen Bürgerinnen und Bürgern hat.“ Zudem seien antisemitische Einstellungen meist verbunden mit weiteren Formen von Diskriminierung – wie Rassismus, Homophobie und Frauenfeindlichkeit, so Blume. Das mache sie zur gefährlichsten Form von gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit.
Angebote des Demokratiezentrums Baden-Württemberg gegen Antisemitismus
Das Demokratiezentrum bietet neben der Meldestelle #Antisemitismus sowie der Meldestelle „respect!- Gegen Hetze im Netz“ auch Workshops für Schülerinnen und Schüler ab Klasse 9 an. Dort werden junge Menschen sensibilisiert, antisemitische Äußerungen wahrzunehmen sowie Scheinargumente zu entschlüsseln und darauf zu reagieren. Der Workshop befasst sich mit jüdischer Verfolgungsgeschichte, vermittelt die Wirkweise von Verschwörungsmythen und weist auf antisemitische Ausgrenzung hin.
In unserer Grafik finden Sie die Verteilung der Meldungen im Zeitraum von November 2019 bis Oktober 2020:
Grafik zum Download
Über die Meldestelle #Antisemistismus
Jüdinnen und Juden sind nach wie vor Anfeindungen, Diskriminierungen oder sogar tätlichen Angriffen ausgesetzt. Viele dieser antisemitischen Vorfälle werden nie bekannt, die Dunkelziffer ist entsprechend hoch einzuschätzen. Dabei ist Antisemitismus nicht nur eine Gefahr für Betroffene, sondern bedroht das demokratische Zusammenleben insgesamt. Die Meldestelle #Antisemitismus dokumentiert antisemitische Vorfälle im Land, stellt präventive Angebote zur Verfügung und vermittelt Beratung.
Über das Demokratiezentrum Baden-Württemberg
Das Demokratiezentrum Baden-Württemberg versteht sich als Bildungs-, Dienstleistungs- und Vernetzungszentrum im Handlungsfeld Extremismus, präventiver Bildungsarbeit und Menschenrechtsbildung. Die in ihm vernetzten Organisationen bieten Beratung und Angebote im Bereich der Extremismusprävention, Demokratieförderung und Menschenrechtsbildung an. Das Demokratiezentrum ist ein Trägerverbund, bestehend aus der Landesarbeitsgemeinschaft Offene Jugendbildung (LAGO) Baden-Württemberg, der LAG Mobile Jugendarbeit, der Türkischen Gemeinde in Baden-Württemberg e. V und der Jugendstiftung Baden-Württemberg. Es wird gefördert vom Ministerium für Soziales und Integration Baden-Württemberg und dem Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) im Rahmen des Bundesprogramms „Demokratie leben!“.
[1] Quelle: https://mediendienst-integration.de/desintegration/antisemitismus.html, Zugriff am 18.11.2020
[2] Lena Kampf, Hannes Munzinger: QAnon: Der brave Anon. SZ, 26. Oktober 2020
Ansprechpartnerin:
Jugendagentur gGmbH im Auftrag des Demokratiezentrums Baden-Württemberg
Stella Loock
Telefon: 07042 8317-486
Mail: loock@jugendagentur.de